Bereits zum dritten Mal verlegt der 1. FC Lok Leipzig Stolpersteine in Erinnerung an seine jüdischen Vereinsmitglieder. Dieses Jahr wird unserem Mannschaftsarzt Willy Michaelis gedacht. Über fünfzig Gäste nahmen an der Verlegung am ehemaligen Wohnort in der Paul-Gruner-Straße im Stadtteil Leipzig-Zentrum Süd teil.
Etwa 20 Spieler der U15-Mannschaft des 1. FC Lokomotive Leipzig, Verein für Bewegungsspiele e. V., haben im Rahmen einer Seminarwoche zum ehemaligen jüdischen Sportarzt des VfB Leipzig, dem Vorgängerverein des 1. FC Lok, Dr. Willy Michaelis, recherchiert. Die jungen Fußballer erstellten einen Projektflyer über das Leben von Willy Michaelis (siehe Anhang) und legten anschließend einen Stolperstein zu seinen Ehren. Zudem beschäftigte sich die Projektwoche mit den Themen Antisemitismus und Rechtsextremismus, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.
Dr. med. Willy Michaelis wurde am 21.01.1886 in Meseritz, im heutigen Polen, geboren. Nach seinem Medizinstudium und dem Dienst als Sanitätsoffizier im Ersten Weltkrieg arbeitete er ab 1914 in seiner eigenen Praxis in der Simsonstraße 2 als Facharzt für Orthopädie
und als Sportarzt. Michaelis lebte mit seiner Frau Marie in Leipzig und hatte vier Kinder. Außerdem war er ab 1920 in der Bundesschule des Arbeiter-Turn- und Sportbundes Deutschlands (ATSB) in Leipzig tätig, wo er hunderte Lehrgangsteilnehmer sportärztlich untersuchte, betreute und für ihre Tätigkeit als Übungsleiter in den Vereinen mit ausbildete. 1924 war er Gründungsmitglied des Deutschen Ärztebundes zur Förderung der Leibesübungen. Außerdem gehörte er 1928 zum deutschen Ärzteteam der Olympischen Winterspiele in St. Moritz.
Im selben Zeitraum war er Mitglied im VfB Leipzig und wirkte dort ehrenamtlich als Sportarzt. Dazu gehörten auch die Fußballer des VfB (heute 1. FC Lokomotive Leipzig), von denen zu dieser Zeit allein zehn Mannschaften im Punktspielbetrieb standen. Seine Funktionen im Ärztebund musste er aufgrund seines jüdischen Glaubens zu Hitlers Machtantritt 1933 aufgeben.
Am 10.11.1938 wurde er im Zuge des Novemberpogroms in seiner Wohnung in der damaligen Sidonienstraße 67 (heute Paul-Gruner-Straße) verhaftet und anschließend in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Unter großen Mühen von Tochter und Mutter kam es am 25.11.1938 zu seiner Entlassung, die mit dem Zwang, das Land schnell unter Aufgabe des Besitzes zu verlassen, verbunden war. Im März 1939 floh er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nach Großbritannien, wo er bis zu seinem Tod 1961 erst in Coventry, dann in London lebte. Nachdem er anfangs keine Erlaubnis erhielt, als Arzt zu praktizieren, wurde ihm während des Zweiten Weltkriegs aufgrund des Ärztemangels im Land angeboten, in einer Notfallaufnahme zu arbeiten. Bis 1958 führte er wieder eine eigene Praxis in London. Außerdem war er im Highland Hospital tätig und behandelte v. a. Kinderlähmungen.
Henry Lewkowitz vom Erich-Zeigner-Haus e.V.:
„Als Erich-Zeigner-Haus e.V. haben wir erneut gern und aus voller Überzeugung heraus das Projekt Inhaltlich unterstützt, da es wichtig bleibt zu zeigen, dass Sport nie ein politikfreier Raum war und auch heute nicht ist. Wohin extrem rechtes Gedankengut in unserer Geschichte führte und immer führen wird, hat das Projekt mit den hochengagierten Spielern gezeigt.“
Präsidiumsmitglied Michael Weichert:
„Der 1. FC Lok vermittelt Werte wie Loyalität, Respekt, Fairness und Toleranz. Diese sind fest in unserem Leitbild verankert. Deshalb ist es wichtig das Gedenken hochzuhalten und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Es gilt die Demokratie zu schützen und mit solchen Projekten zu stärken. Es erfüllt uns auch mit Stolz und Ehrfurcht, dass sich unsere Nachwuchsspieler der Themen annehmen und ihre Freizeit dieser Projektwoche widmen.“
Der 1. FC Lok bedankt sich bei allen Mitwirkenden, insbesondere bei Dr. Nils Franke, Dr. Gerlinde Rohr (Sportmuseum), dem Sportjournalisten Ronny Blaschke, Henry Lewkowitz, Lea Schefter und Phelan Kokot vom Erich-Zeigner-Haus e.V. für die Zusammenarbeit und Unterstützung bei Recherche und Ausgestaltung des Projekts. Zudem gilt unser Dank der Förderung durch das Land Sachsen und den Landessportbund vertreten durch Robert Großpietsch.
Dass Demokratieverständnis und -bildung ein gelebter Schwerpunkt des 1. FC Lok ist, zeigt sich in der permanenten Fortführung des Stolpersteinprojekts seit über vier Jahren u.a. 2023, im Rahmen der jüdischen Woche, als erstmals ein Stolperstein vor einem Stadion (Bruno-Plache-Stadion) in den neuen Bundesländern verlegt wurde. Nun werden Workshops zur Erwachsenenbildung im Bereich Zivilcourage für alle haupt- und ehrenamtliche Vereinsgremien angeboten und durchgeführt.
Alle Informationen zum sozialen Engagement und den Herzensprojekten unseres Vereins finden Sie auf unserer Webseite unter „Blau-gelbe Nestwärme“.